Seit über einem Jahr wütet der Krieg in der Ukraine, ein völkerrechtswidriger und grausamer Krieg mit mehr als 200 000 Toten, auf beiden Seiten, davon etwa 50 000 ukrainische Zivilisten. Inzwischen sind auch alle NATO-Staaten tief in den Krieg verwickelt.

Das erste Opfer eines Krieges ist immer die Wahrheit. Nuancen sind nicht gefragt.  Die Guten sind wir, die andern sind die Terroristen. Abweichende Stimmen hört man kaum, die großen Medien sind im Besitz der Superreichen. Wer versucht Nuancen ins Schwarz Weiss Bild zu bringen, wird schnell dem feindlichen Lager zu gestuft.

Und trotzdem: Dieser Krieg hat eine Vorgeschichte, dieser Krieg hätte verhindert werden können. Dieser Krieg ist nicht im Interesse der Bevölkerungen, weder der ukrainischen noch der russischen, auch nicht der EU-Bürger. Er trifft sogar die armen Länder Afrikas. Ja, das ukrainische Volk hat ein Recht auf Freiheit und Demokratie, die russophonen Minoritäten haben ebenfalls ein Recht auf ihre Sprache und ihre Kultur. Ob ihr Land in der NATO ist oder nicht war wohl nie Priorität für die allermeisten Menschen.

Russland erklärt seit der Ära Gorbatschow Sicherheitsbedenken angesichts der ständigen Osterweiterung der NATO. Würden die USA russische Waffenstützpunkte, Raketenbasen und Biowaffen Labors an ihren Grenzen hinnehmen? Sie würden das nicht zulassen.

Während Papst Franziskus an die Politiker appelliert sich für ein Ende dieses „absurden Krieges“ einzusetzen, für Waffenruhe und Friedensverhandlungen, liefern die NATO-Staaten immer neuere Waffen, große Geldmengen und Söldner, ohne dass dabei die Kriegs-Ziele benannt werden. Die Rede ist von einem langen „Abnutzungskrieg“, weitere Eskalation ist angesagt. Ein Stellvertreterkrieg, denn die Entscheidungen werden in Russland und in Washington genommen.

Die EU trägt die Risiken einer Ausweitung der Kriegshandlungen, gar eines Atom-Schlages, sie nimmt die Flüchtlingsströme auf. Und ihre Wirtschaft leidet. Die schwindelerregenden Profite gehen an die Rüstungsindustrie, allen voran in die USA, die jetzt umweltschädliches Fracking-Gas teuer in Europa absetzen kann. Korrupte Oligarchen, in Russland, in der Ukraine und im Westen bereichern sich weiter.

Weltweit übersteigen die jährlichen Militärausgaben zum ersten Mal die 2000 Milliarden Dollar. Dabei sind die Militärbudgets der NATO-Staaten, allen voran die USA, um 20x höher als dasjenige der russischen Föderation.

Bloß für Gesundheitswesen oder Renten (siehe Frankreich), für den öffentlichen Transport (siehe Griechenland), für die Dienste an der Allgemeinheit fehlt es anscheinend an Geld. Auch hierzulande wird das Leben von Tag zu Tag teurer. Die Umverteilung von unten nach oben dreht gerade in Krisenzeiten munter weiter.

Dass in Luxemburg ausgerechnet ein grüner Verteidigungsminister eine bellizistische Rhetorik führt und 100 Millionen Steuergelder an Waffen ins Kriegsgebiet schickt, das hätte man vor Kurzem nicht geglaubt. Ihm gehe es dabei um Verteidigung der Demokratie und des Völkerrechtes, kein Wort zu den geopolitischen oder wirtschaftlichen Interessen.

Vor zwanzig Jahren begann ein anderer völkerrechtswidriger Krieg, gegen den Irak. Von den USA angeführt, trotz Millionen Bürger die weltweit dagegen protestierten. Ein Krieg mit mehr als 500 000 Toten der zu weitflächigen Zerstörung und Chaos und zur Erstehung von Daesh führte. Der Millionen Menschen zu Flüchtlingen machte, die man jetzt an den EU-Grenzen ertrinken lässt. So hat die größte Militärmacht der Welt seit Ende des 2. Weltkrieges – während dem auch 27 Millionen Sowjetrussen und - Ukrainer ihr Leben ließen –mehr Angriffskriege geführt als irgendein anderes Land. Offizielle Schätzungen beziffern die Opfer dieser ebenfalls völkerrechtswidrigen und grausamen Kriege auf 20 Millionen Menschen.

Das rechtfertigt nicht den brutalen Angriffskrieg Putins. Es sollte aber EU-Politiker dazu ermahnen mit gleichen Maßstäben zu messen, auf Entspannung und Friedensverhandlungen, anstatt auf totalen Krieg zu setzen und endlich die Interessen ihrer eigenen Bürger und die eines selbstständigen Europas zu vertreten.

Claude Grégoire