Eine Replik auf die Meldung „D'Lëtzebuerger Enseignante verdéngen am EU-Verglach am meeschten“ vom 25.8.2025

Die Presse liebt das große Spektakel: die Konfrontation von Extremen, die nichts beweisen und doch alles suggerieren. 90.000 Euro für einen Luxemburger Lehrer hier, 11.000 Euro für einen bulgarischen dort – und schon steht eine Schlagzeile. Ein Hauch Skandal, eine Prise Empörung, fertig ist die Pointe. Ob die Zahl etwas erklärt, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur die Provokation. Und die Rechnung geht auf: Kaum erscheint ein solcher Artikel, füllen sich die Kommentarspalten – oft schrill, pauschalisierend, auf erbarmungswürdigem Niveau, dafür aber umso wertvoller für die Klickstatistik.

Genau das ist auch der Grund, warum solche Artikel regelmäßig wiederkehren: nicht weil sie besonders aufschlussreich sind, sondern weil sie Missgunst schüren. Zurück bleibt das Bild des überbezahlten Luxemburger Pädagogen – und die Illusion, man hätte das eigentliche Problem des Luxemburger Bildungssystems längst erkannt. In Wahrheit vergleicht man aber Äpfel mit Satelliten. Denn solche grobschlächtigen Gegenüberstellungen sagen nichts über Lehrergehälter aus, sondern wohl eher etwas über die Wirtschaftskraft einzelner Länder. Im Grunde genommen vergleicht man in solchen Artikeln also eher Wirtschaftssysteme als Lehrergehälter.

Wer hingegen wirklich ernsthaft vergleichen will, muss nach innen schauen: Wie stehen Lehrer im Verhältnis zu Ärzten, Ingenieuren, Anwälten oder Richtern in Luxemburg? Genau dann zeigt sich nämlich, wie absurd die mediale Fixierung auf Lehrer ist. So werden z.B. im Justizapparat vergleichbar hohe bzw. sogar höhere Gehälter gezahlt. Und auch die Justiz gönnt sich in Luxemburg eine zweimonatige Ruhephase: Zwischen Mitte Juli und Mitte September läuft sie nur im Notbetrieb – dringende Fälle ja, alles andere wartet. Doch während man Lehrern die Ferien regelmäßig neidet, gilt bei Richtern und Staatsanwälten: Sommerpause ist Tradition. Lehrer hingegen sind die ideale Zielscheibe – sichtbar, greifbar, angreifbar.

Warum genießen Richter einen gewissen Schutz, während Lehrer zum Dauerobjekt der Missgunst werden? Ein Grund liegt in der Wahrnehmung: Richter arbeiten vornehmlich mit Erwachsenen, sie verfügen über „echte“ Macht und Sanktion. Ihre Tätigkeit wirkt gravitätisch, unantastbar. Lehrer dagegen arbeiten mit Kindern und Jugendlichen – einem Bereich, den die Gesellschaft traditionell nicht ernstnimmt. Wer „nur“ erzieht, gilt schnell als Dienstleister, nicht als Autorität. Die Philosophin Hannah Arendt hat diese paradoxe Stellung des Pädagogen präzise beschrieben. In ihrem Essay Die Krise in der Erziehung argumentiert sie, dass Lehrer stellvertretend für eine Welt stehen, die die Kinder nicht selbst geschaffen haben. Sie verkörpern also nicht eigene Macht, sondern die Verantwortung, die nächste Generation in eine bestehende Ordnung einzuführen. Arendt nennt dies eine „schwache Macht“: Der Lehrer kann nicht herrschen wie ein Richter oder kommandieren wie ein Offizier, er muss überzeugen, anleiten, manchmal vertrösten. Gerade diese Zwischenposition macht ihn so angreifbar. Er vertritt eine Welt, die von der Jugend häufig infrage gestellt oder abgelehnt wird – doch die schärfste Kritik trifft ihn nicht von den Jugendlichen, sondern von den Erwachsenen. Denn Eltern und Gesellschaft erwarten, dass der Lehrer nicht nur Wissen vermittelt, sondern gleichzeitig für Disziplin, Integration und Zukunftssicherung sorgt. Er wird damit zur Projektionsfläche all jener Erwartungen, die Erwachsene an die nächste Generation richten – Erwartungen, die er niemals vollständig erfüllen kann. Genau deshalb entzünden sich Debatten so gern an den Gehältern: Hohe Löhne suggerieren eine Macht, die Lehrer in Wahrheit gar nicht besitzen. Die „schwache Macht“ des Pädagogen kollidiert so mit dem Bild des angeblich überprivilegierten Beamten – ein Widerspruch, der die Neiddebatte immer wieder befeuert.

Dass Luxemburg Lehrern hohe Gehälter zahlt, ist keine pädagogische Extravaganz, sondern vor allem eine ökonomische Notwendigkeit. In einem Hochpreisland gewinnt man qualifizierte Akademiker nur mit konkurrenzfähigen Gehältern. Das gilt für den Chefarzt ebenso wie für den Lehrer. Und doch zeigt der anhaltende Lehrermangel, dass selbst diese hohen Gehälter nicht ausreichen, um genug Nachwuchs anzuwerben – weil u.a. die Arbeitsbelastung hoch ist und das Berufsimage durch ständige Neiddebatten beschädigt wird.
Und wenn das Geld-Argument nicht verfängt, dann greift man zum nächsten Vorurteil: den Ferien. Acht Wochen Hängematte auf Staatskosten – so lautet das Mantra der Kommentarspalten. Die Realität ist weitaus unspektakulärer: Ferien sind kein Bonus, sondern die notwendige Wartungszeit eines Systems, das im Dauerbetrieb überhitzen würde. Ironischerweise lohnt sich hier tatsächlich ein Blick nach Bulgarien: Dort dauern die Sommerferien je nach Schulform bis zu dreieinhalb Monate.

Auch das Argument der angeblich geringen Wochenarbeitszeit hält keiner Prüfung stand. Die 22 oder 24 Unterrichtsstunden sind nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Es sind vor allem die Korrekturen, die einen enormen Zeitaufwand bedeuten. Sie sind der Teil der Arbeit, der sich mit keinem anderen Beruf sinnvoll vergleichen lässt. Die Korrektur einer 60-Punkte-Klausur in einer Fremdsprache beansprucht im Schnitt 40 bis 60 Minuten. Multipliziert man dies mit 25 Schülern und mehreren Klassen, wird der Umfang schnell erdrückend. Und er wird über die Jahre nicht leichter, sondern schwerer: Von den in Kommentarspalten gerne zitierten „Vorarbeiten, auf denen man aufbauen kann“, kann hier nämlich nicht die Rede sein, weil jede Klasse andere Schwächen zeigt, die Schülerleistungen tendenziell (aber natürlich nicht linear) sinken und die Konzeption der Tests immer bürokratischer ausfällt. Diese verdeckte Arbeitslast taucht in keiner Statistik auf und führt jede einfache Rechnung ad absurdum. Hinzu kommt die psychische Belastung: Kaum ein anderer Beruf fordert geistig so viel. Der Chirurg folgt seiner Methodik, der Richter dem Gesetz. Der Lehrer hingegen steht Tag für Tag vor 25 jungen Individuen – manche unwillig, andere überfordert, wieder andere grundsätzlich widerspenstig. Gegen diesen Widerstand Wissen zu vermitteln, ist kein Beruf, sondern ein permanenter Ausnahmezustand: Konzentration, Nervenstärke und psychologische Feinfühligkeit im Dauereinsatz. Dass Lehrer zu den Berufsgruppen mit den höchsten Burnout-Raten zählen, ist daher kein Zufall, sondern die zwangsläufige Folge einer Tätigkeit, die zugleich Fachwissen, emotionale Stabilität und unerschütterliche Präsenz verlangt.

Wer dies als bloßes Klagen abtut, verkennt die eigentliche Aussage: Es geht nicht um die Selbststilisierung eines Berufsstands, sondern um eine sachliche Bestandsaufnahme. Lehrkräfte haben keinen exklusiven Anspruch auf Anstrengung – auch zahllose andere Berufe tragen hohe Verantwortung. Doch die Besonderheit der Schule liegt darin, dass die Belastung aus einer einzigartigen Mischung entsteht: fachlich komplexe Vorbereitung, hohe Korrekturlast, permanenter Publikumsverkehr mit jungen Menschen – und das alles unter öffentlicher Dauerbeobachtung. Die Debatte gewinnt nur dann an Seriosität, wenn man diese Arbeitsrealität anerkennt. Nicht um Mitleid zu erheischen, sondern um die Diskussion vom Ressentiment auf Faktenebene zu heben.

Regelmäßige Zeitungsartikel über Lehrergehälter erhellen hingegen nichts. Sie liefern keine Analyse, sondern billigen Zündstoff für Kommentarspalten, in denen Vorurteil und Missgunst gedeihen. Das Ergebnis ist keine Debatte, sondern eine Spirale aus Neid und Verdruss.

Man kann Schule auf Gehälter und Ferienwochen reduzieren – so wie man Musik auf Dezibel beschränken kann. Doch Musik ist mehr als Lautstärke. Und Bildung mehr als ein Lohnzettel. Natürlich müssen sich auch Lehrer berechtigte Kritik gefallen lassen – nicht länger aber Neiddebatten im weitgehend luftleeren Raum.

Manuel Bissen; Lehrer