Ein Plädoyer für architektonische und landschaftliche Harmonie

Diese Zeilen richten sich an Architekten, Bauträger, Bauunternehmer, politische Mandatsträger, Planungsbüros – und nicht zuletzt an die Zivilgesellschaft. Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um mit wachem Blick durch Ihre Dörfer, Städte und Wohnviertel zu gehen. Was fällt Ihnen auf? 
 
Ja, es gibt sie noch: prächtige Villen aus der Gründerzeit, stattliche Bauernhäuser aus der Ära Maria Theresias, schlichte Schmelzarbeiterhäuser. Sie zeugen von handwerklicher Qualität, regionaltypischen Bauweisen und einer Architektur, die über Jahrhunderte hinweg das Gesicht unserer Ortschaften geprägt hat.
 
Doch was fällt Ihnen noch auf? Immer häufiger stehen zwischen diesen gewachsenen Strukturen moderne, oft gesichtslose Neubauten: überdimensionierte, mehrstöckige Mehrfamilienhäuser mit wenig Rücksicht auf die Umgebung, Reihen von Flachdach-Einfamilienhäusern mit übergroßen Fensteröffnungen oder unpassend renovierte Altbauten, die durch Baumarkt-Ästhetik und unsensible Modernisierungsmaßnahmen ihrer historischen Identität beraubt wurden.
 
Es ist unübersehbar: Die Baukultur wird zunehmend mit Füßen getreten. Lokale Architekturtraditionen und ortstypische Bauformen spielen bei vielen Neubauprojekten keine Rolle mehr. Die Anwendung kommunaler Bebauungspläne werfen Fragen auf – wie kann es sein, dass innerhalb geschützter Viertel plötzlich ungeschützte Zonen auftauchen, die Bausünden mitten im Dorfkern Tür und Tor öffnen? Warum wird in sensiblen Ortsteilen oft ohne Rücksicht auf das Ortsbild gebaut? Machen es sich Bürgermeister und Schöffenräte zu einfach, wenn es darum geht, unpassende Neubauten zu verhindern?
 
Unsere Annahme: Ja! In vielen Fällen scheinen Bebauungspläne von Planungsbüros so erstellt zu werden, dass sie wenig rücksichtsvoll mit dem Bauerbe umgehen. Bürgermeister und Schöffenrat verlassen sich dabei scheinbar sehr auf diese Planungsbüros, anstatt sich selbst intensiver mit der Thematik Baukultur auseinanderzusetzen. Doch genau das wäre ihre Aufgabe: aktiv für eine qualitätsvolle, ortsbildverträgliche Architektur einzutreten, anstatt nur verwaltungstechnische Entscheidungen abzunicken. Immerhin gibt es ja Gesetze und Verordnungen die bei der Erstellung der allgemeinen Bebauungspläne die Baukultur zu berücksichtigen hat (loi du 19 juillet 2004, RGD du 28 juillet 2011 concernant e.a. les contenus de l’étude préparatoire et des PAG).
 
Die Neubau-Architektur in Luxemburg, insbesondere in historisch gewachsenen Dörfern und Wohnvierteln, muss dringend überdacht werden. Sie sollte sich harmonisch in die bestehende Umgebung einfügen, anstatt als Fremdkörper hervorzustechen.
 
Eine Möglichkeit wäre, sich wieder stärker an regionaltypischen Architekturstilen zu orientieren – nicht durch bloße Kopien, sondern durch eine kluge Weiterentwicklung traditioneller Bauformen. So könnten traditionelle Elemente eine Alternative zur monotonen, oft beliebigen Moderne sein. Auch die Farbgestaltung sollte sich an den örtlichen Gegebenheiten orientieren: Weiß im Ösling, Rot- und Ockertöne im Westen, Sandgelb im Moseltal. Dazu klassische Satteldächer, mit oder ohne Walm, die sich harmonisch in die Dachlandschaft einfügen. 
 
Wir fordern deshalb die Einführung eines staatlichen Baumeisters, der verbindliche Stellungnahmen dazu abgibt, wie neu gebaut wird. Denn Baukultur ist mehr als Architektur – sie ist ein Zusammenspiel von Ortsbildschutz, Denkmalschutz und Landschaftsschutz.
 
Ein weiteres Problem: der wachsende Flächenverbrauch und der sorglose Umgang mit der natürlichen Umwelt. Wir sind kategorisch gegen die Devise „Natur auf Zeit“, bei der Obstwiesen, Dorfwiesen mit Hecken oder wertvolle Biotope bedenkenlos bebaut werden können. Gerade solche unversiegelten Flächen sind essenziell für die Biodiversität unserer Dörfer. Neubauten sollten sich der Topografie anpassen, anstatt ganze Grundstücke metertief auszuheben und mit Spritzbeton zu befestigen. Altbauten, Rückzugsorte für Schwalben, Fledermäuse und andere geschützte Arten, sollten nicht abgerissen, sondern mit Bedacht umgebaut werden.
 
Auch der Erhalt traditioneller Handwerkstechniken ist ein zentraler Aspekt der Baukultur. Noch existieren Baufirmen, die über das Wissen und die Fähigkeiten verfügen, traditionelle Bautechniken anzuwenden. Doch ihr Fortbestand ist gefährdet, wenn moderne Bauprojekte nur noch auf standardisierte Lösungen und industrielle Fertigbauweisen setzen. Eine nachhaltige Baupolitik muss daher auch das traditionelle Bauhandwerk stärken und fördern.
 
Es gibt ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass anders gebaut werden muss. Bürgerinnen und Bürger setzen sich zunehmend für den Erhalt ihrer Ortsbilder ein, fordern eine Architektur, die sich in ihre Umgebung einfügt, anstatt sie zu zerstören. Es liegt nun an den politischen und planerischen Entscheidungsträgern, diesen Wandel zu fördern – bevor es zu spät ist. Also weg von der materialintensiven Bauwirtschaft – hin zur arbeitsintensiven Bauwirtschaft, ergo mehr renovieren, weniger abreißen. Dies fördert den Arbeitsmarkt. All diese Forderungen wären machbar. Ein Umdenken ist somit notwendig, die Gesellschaft fordert es bereits ein.
 
Reuter Jerome, Vize-Präsident Mouvement Patrimonial asbl -Eng Initiativ fir den Denkmalschutz-