Alle Menschen sind gleich, sagt der Philosoph, nur sind manche gleicher als andere, sagt das Leben

An alle Volksvertreterinnen und Volksvertreter. Während die Sturmwellen, die am letzten Sonntag die Gemeindewahlen begleiteten, sich allmählich glätten, haben die Abgeordneten über einen neuen Text zu unserer Verfassung abgestimmt und diesen mit großer Mehrheit angenommen. Dieser Text wurde während gefühlter 10-15 Jahre von einer mit hohen Beamten besetzten Kommission und unter genau so hohen Unkosten buchstabenweise auseinandergenommen und, je nach Ansicht, zeitgemäß wieder buchstabenweise zusammengefügt.

Sehr geehrter Herr Staatsminister Bettel. Als Ihnen nach den Wahlen von 2013 und 2018 berechtigterweise vom Volk das Zepter in die Hände gelegt wurde, als Ausdruck des Vertrauens in Sie als ihr Vertreter, haben Sie sich beide Male mit großer Freude und berechtigtem Stolz überschwänglich bei ihren Untergebenen bedankt. Beim letzten Mal haben Sie uns versprochen, die Stimme des Volkes bei wichtigen Entscheidungen mit einzubeziehen und jedes Mal durch Referenden den Puls der Zeit zu berücksichtigen. Nach dem einmaligen Versuch einer solchen Abstimmung, bei der nach Auswertung zwischen Ihren Erwartungen und der Realität eine, bedenkliche, unüberbrückbare Kluft prangte, scheinen Sie aus Angst vor erneutem Gegenwind auf weitere Versuche verzichtet zu haben.

Vor der Erneuerung des Verfassungstextes wäre die Gelegenheit zu einer solchen Grundfrage absolut unumgänglich gewesen, ich hatte aber den Eindruck, dass bei allen Parteien gemeinsam genau zu dem treffenden Zeitpunkt es an dem nötigen Mut fehlte, zu dem sperrigen Thema, ohne Umschweife die klare Frage an uns alle zu stellen: „Wollen wir die Monarchie in der alten Form beibehalten, deren Wurzeln immer noch bis ins tiefste Mittelalter hineinreichen, oder sollten wir ein modernes Konzept ausarbeiten, mit dem beide Seiten leben können?“ Paradoxerweise waren die Medien bei den kleinsten Gerüchten über Unstimmigkeiten in der Großfamilie stets bereit, seitenweise negative Berichte über das tolle Leben hinter den verschlossenen Türen zu schreiben. Ein hoher Beamter wurde beauftragt, einen Bericht zu verschiedenen Vorkommnissen anzufertigen, in dem er die seiner Meinung nach nötigen Erneuerungen vorschlug. Damals sagte niemand: “Ach lasst die armen Reichen doch in Ruhe, sie haben das gleich Recht wie wir alle und dürfen auch mal über die Stränge schlagen.“ Im Gegenteil, es wurde in allen Ecken krampfhaft an einem Strafenkatalog gearbeitet, damit wieder Ruhe in den Hühnerschlag einkehren konnte.

Das liebe Volk, dessen Mitarbeit bei den kommenden Parlamentswahlen im Oktober so ungemein wichtig ist, dass die Kandidaten wieder mal ihren Stolz ablegen und jedem einzelnen auf den Knien hinterherkriechen werden um ein kleines Kreuzchen zu erhaschen, wurde bei dem neuen Text komplett ignoriert und hinterhältig hereingelegt.

Es kann doch nicht sein, dass das jährliche Einkommen des reichsten Bürgers des Landes mit 555.000 € veröffentlicht wird mit dem Vermerk, es sei steuerfrei. Auch wenn er sein Geld in temperierten Silos aufbewahren will, es wird nicht ewig halten. Laut Grundgesetz sind wir Menchen alle gleich. Wenn dem so sein sollte, dann fordere ich für mich und uns alle, besonders für diejenigen, die nahe an der Armutsgrenze leben und trotz täglicher schweren Arbeitsleistungen vom Steueramt bis auf den letzten Cent ausgequetscht werden, genau diese Gleichstellung.

Schämen sollten sich unsere Vertreter, dass sie einen einzelnen Menschen im ganzen Land von der Steuer befreien und auch Sie, Herr Henri, hätten sich als hierAnsässiger gegen eine solche Ungerechtigkeit wehren müssen nach dem Motto: „Alle oder keiner, ich stehe auf der Seite des Volkes!“ Hier wurde ein wichtiger historischer Moment verpaßt, der viel unnützes böses Blut hervorrufen wird, statt endlich zur ewigen Ruhe zu kommen.

Ich werde wohl nicht mehr den Moment miterleben, wenn die perfekte Gleichstellung aller Bürger ausgerufen wird. Dass das nicht im Jahre 2023 stattfinden kann, ist nicht die Schuld des Klimawandels oder des politischen Versagens bestimmter Parteien, sondern in dem Fehlen von Einigkeit aller politischen Volksvertreter zu suchen. Unsere groß auftrumpfenden, führenden Parteien sollten zu dem Thema alle zusammen hinter einer gemeinsamen Fahne marschieren und ihre Forderungen und Vorstellungen gegenüber der Monarchie kund tun. Schon allein die Steuergerechtigkeit zu klären wäre einen Riesenschritt in Richtung positiver Zusammenarbeit. Da ich mir bewusst bin, dass die führenden Parteien niemals zu der nötigen Demut finden werden, die unerlässlich ist, um auch die Kleinen, ihnen kaum bis zum Knie reichenden Volksvertreter wahrzunehmen, möchte ich mir mit klarem Kopf eingestehen, dass eine solche Erwartung für immer Illusion bleiben wird.

Herzliche Grüße

Ben Schultheis

Träume weiter Ben.