Bereits die Erstklässler könnten auf den Schulunterricht verzichten, sie tragen alles Wissen was sie brauchen in der Hosentasche.

Bevor ein falscher Eindruck entsteht und mir Morddrohungen ins Haus flattern, möchte ich vorweg sagen, dass ich Handy & Co als einen Fortschritt der Menschheit ansehe, dessen Nachteile in der Entfremdung des Menschen besteht und für den in einem Klassenzimmer kein Platz ist.

Unserem langjährigen Unterrichtsminister, Herrn Claude Meisch, der sich seit 2013 sich mit Leib und Seele für das Schulwesen einsetzte, schien es gelungen zu sein, während zweier Legislaturperioden alle Probleme zu lösen. Oder vielleicht doch nicht wirklich alle, denn um den Wissensstand unserer Jugend in die bekannte Pisa-Studie einfließen zu lassen, dazu fehlt ihm im Moment noch der Mut. Bei der letzten Teilnahme 2018 waren die Resultate so schräg wie der berühmte Turm selbst. Wieso der Minister sich nach den letzten Wahlen auch noch das Bauministerium aufgeladen hat, ist unverständlich. Dass auf seiner langjährigen Baustelle als Erziehungsminister noch vieles im Rohbau ist, zeigt eine Bestandsaufnahme bei unserem Lehrpersonal, unter denen eine erschreckend hohe Zahl an Ausfällen wegen Überforderung festzustellen ist. Die Zeiten, wo wir sie wegen der vielen Ferien beneidet haben, sind Vergangenheit.

Ein verzweifeltes Schulkind wurde vor kurzem beim Herrn Minister vorstellig und verriet ihm ein gut gehütetes Geheimnis. Als Gegenleistung bat es um ein iPhone. Der Herr Minister war erstaunt und bohrte etwas tiefer. Das Kind gab an, sich als einziges im ganzen Gebäude in der Klasse zu langweilen, derweil die anderen sich während des Unterrichts über ihr Handy auf unsichtbaren Wellen durch die ganze Welt treiben lassen. Der Minister, von dieser Mitteilung völlig überwältigt, rief seinen Beraterstab und die Vertreter der Lehrerschaft zu einer Krisensitzung zusammen und zögerte nicht lange. Noch am gleichen Tag verfügte er über ein allgemeines Handy-Verbot in sämtlichen Schulen…ab Ostern 2025. Ich war stets der Meinung, dass bei solchen Krisen ein Minister einen Schreianfall bekommt, mit der Faust auf sein Pult haut, ein paar Verantwortliche gehaltsmässig zurückstuft und das Problem ist gelöst, weil niemand sich traut ihm zu widersprechen. Eine Entscheidung über deren Sinn ich lange nachgedacht habe und zu folgenden Überlegungen gekommen bin, weshalb ein sofortiges Verbot nicht möglich ist.

1. Das Handy in der Schule ist auf die Dauer zur Regel geworden. Wenn der Staat eine Regel ändern möchte, sind gewisse Prozeduren vorgeschrieben, die es einzuhalten gilt, da sie fest in der Verfassung verankert sind. Als erstes stellt sich die Frage: wer ist befugt auf welche Art und Weise und zu welchem Moment das iPhone der Kinder zu beschlagnahmen? Das Lehrpersonal? In Anbetracht der Tatsache, dass in manchen höheren Klassen, ein breitschultriger Jugendlicher belustigt auf eine ältere und bedeutend kleinere Lehrerin herabblickt, die ihm ein Stück seines Herzens herausreißen möchte, wird diese Möglichkeit fallen gelassen. Auch in den unteren Klassen muss mit heftiger Gegenwehr gerechnet werden. Manche Kinder würden zu Hause behaupten, die Lehrerin hätte sie bestohlen. Es ist bekannt, dass Eltern im Gegensatz zu früher heute fester hinter ihren Kindern stehen. Manche legen sich bereits im Kindergarten einen Juristen zu, um ihr Kind vor der Willkür des Lehrpersonals zu schützen, so dass mit vermehrten Klagen wegen Diebstahls oder Machtmissbrauches zu rechnen wäre. An der Gründung einer Spezialkommission zusammen mit juristischen Beratern führt kein Weg vorbei.

2. Um an der Eingangstür den Schülern das begehrte Objekt abzunehmen, wäre der muskulöse und angsteinflößende Beamte einer Sicherheitsfirma an der Eingangstür allein total überfordert, also müssen mindestens drei ran. Da auch diese nur nach einer festgelegten Prozedur arbeiten dürfen, muss eine weitere Kommission gegründet werden. Vertreter der Menschenrechte werden versuchen, sich mit der Lehrerdelegation und dem Jugendbeauftragten der Regierung in unzähligen Sitzungen zu einer gerechten Lösung zusammenraufen müssen.

3. In der heutigen Generation wurde einem Teil der Schüler bereits die Nachahmung eines iPhones in die Wiege gelegt und spätestens am 3. Geburtstag ein echtes mitsamt Ladegerät auf dem Geburtstagskuchen überreicht. Durch den jahrelangen Gebrauch, ist bei allen Kindern eine Handysucht entstanden. Wie bei allen anderen Suchtformen, können schwere Entzugserscheinungen auftreten, wenn nicht eine fachgerechte Entwöhnung erfolgt. Diese Erscheinungen äußern sich in Form von unkontrollierten Schreien und Wutausbrüchen die in Gewaltakten übergehen können. Die Betroffenen sind sich ihrer Handlungen nicht bewusst, auch nicht dass sie zu Verletzungen am eigenen Leib oder bei ihrem Umfeld führen können. Im Entzugsrausch wurden auch schon Schulen in Brand gesetzt. Dieser Problematik wird sich eine weitere Kommission annehmen, an deren Sitzungen Suchtexperten des Gesundheitsministeriums, Vertreter martialischer Kampfsportarten und natürlich auch Delegierte der Lehrergewerkschaft nach brauchbaren Lösungen suchen werden. Ich könnte mir vorstellen, dass nach Abschluss der Verhandlungen in einer ersten Phase Suchtexperten und medizinisches Personal an den Klassenstunden teilhaben werden.

4. Um die traumatisierten Kinder vor schwerwiegenden, bleibenden psychischen Schäden zu schützen, sollte mit jedem Kind für die Entwöhnungsphase ein individuelles Programm erstellt werden. Die Sucht zu bekämpfen, ist wichtiger als das Lernen und steht im Vordergrund. Man könnte die Problematik mit derjenigen von Corona vergleichen. Erst nach Monaten kann der normale Schulbetrieb wieder aufgenommen werden.

In letzter Instanz werden die Texte durch den Staatsrat gewissenhaft auf Punkt, Komma und Bindestrich geprüft, eine Prozedur bei der sie öfters abgelehnt und zurück an die Kommissionen verwiesen werden. Da nicht jeder gewillt ist, sich zu jedem zu setzen, kann es bei Meinungsverschiedenheiten zu Umbildungen kommen, es spielen zum Gelingen des Projektes viele Faktoren eine Rolle und an eine kurzfristige Umsetzung ist nicht zu denken. Für die Teilnehmer einer solchen Arbeitsgruppe besteht die Möglichkeit, ihr klägliches Politiker-Gehalt etwas aufzubessern, so dass niemand es besonders eilig hat, zu einem Ende zu kommen. Im Idealfall wird das Projekt mit in die nächsten Wahlen gerettet, dann hat der Minister einen triftigen Grund sich erneut wählen zu lassen. Es könnte aber auch möglich sein, dass zum Zeitpunkt der Reife, niemand sich mehr über den Grund der Verhandlungen im Klaren ist, weil die KI sich in der Zwischenzeit der Schulkinder bemächtigt hat.

Ich bitte um Entschuldigung, ich wollte den Teufel nicht an die Wand malen, aber ich habe versucht mir selbst eine Erklärung zurechtzulegen um die Gründe eines erfahrenen Ministers nachzuvollziehen, weshalb er den Journalisten nicht mitgeteilt hat: „Heute ist Freitag, ab Montag ist Schluss mit lustig und es gilt während des Unterrichts in allen Schulen absolutes Handy-Verbot für Schüler und Lehrpersonal.“ Ein solcher Akt wäre menschlich völlig korrekt, scheint jedoch politisch unmöglich zu sein.

Ben Schultheis