Vorweihnachtliche Kaffeeernte in Mittelamerika: Eindrücke von den Plantagen, vom Präsidenten von TransFair-Minka, Jean-Louis Zeien.

Selbst das kleine schmucke Hotel im Herzen des Städtchens Jinotega nennt sich bezeichnenderweise „Hotel Café“. Kein Zufall, denn Jinotega mit seinen rund 45.000 Einwohnern lebt durch und durch vom Kaffee: Compra café a buen precios (Kaufe Kaffee zu guten Preisen) steht auf den Schildern der Zwischenhändler am Eingang der Stadt. Hier hat auch die 650 Mitgliederstarke Kooperative Soppexcca, die im fairen Handel mitmacht, ihren Hauptsitz mit Kaffeelager, Büros und einem netten Kaffeehaus. Von dem heißt es im Lonely Planet, dass man dort den Kaffee bekommt: „quite simply the best cup of coffee in town and possibly of the Ruta de Café“. Und das stimmt auch so. Beim Cappuchino den der junge Barrista im Kaffeehaus „Flor de Jinotega“ hinzaubert, gerät der Kaffeegeniesser gerne ins Schwärmen, egal ob er zu den nicaraguanischen oder den wenigen europäische „Kaffistuten“ gehört, die den Weg hierher finden.

Gleich neben dem Kaffeehaus stapeln sich im Dezember die großen 60 kg-schwere Kaffeesäcke des hochwertigen Nica-Kaffees, obwohl die Ernte Mitte Dezember noch nicht auf dem gleichen Ertragsstand wie im vergangenen Jahr  liegt. 65% der gesamten nicaraguanischen Kaffeeproduktion kommt aus dieser Region. Deshalb gilt Jinotega auch als „Hauptstadt des Kaffees in Nicaragua“. Die Nachfrage nach Kaffee ist auf jedem Fall riesengroß, auch in diesem Jahr wieder. Die Strassenbesetzungen der 80er Jahre gehören der Vergangenheit an, als die Kaffeepflücker in ihrer Verzweiflung aufgrund niedriger Kaffeepreise und Überproduktion sich nicht mehr anders zu helfen wussten und mit Strassenblockaden auf ihren hoffnungslosen Überlebenskampf aufmerksam machen wollten.

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Vor Ort: Der Autor bei den Produzenten.

Kaffeesäcke und Weihnachtsdekoration

„Qualität, Preise, Quantität.“ Um diese drei Stichworte kreisen denn auch im Moment die Gedanken der resoluten und hier hoch geschätzten Geschäftsführerin der Kooperative Dona Fatima. Dabei hat sie jetzt eben erst eine Einladung zu einer Hochzeit eines der Kooperativenmitglieder auf ihren Schreibtisch bekommen und gleichzeitig ist ein Hauch von Melancholie zu spüren, wenn sie vom Überlebenskampf vieler Nicaraguaner in einem der ärmsten Länder Lateinamerikas spricht, die nicht vom Hauptexportprodukt Kaffee leben können: „Mir tut es innerlich weh mit anzusehen, wie viele Kinder in unserem Land in totaler Armut die kommenden weihnachtlichen Festtage erleben müssen ohne ausreichend zum Essen zu haben, an Geschenke nicht einmal zu denken wagen.“

Diese Anspannungen sind trotz der allgegenwärtigen Krippenfiguren, Weihnachtsumzügen und Weihnachtsdekorationen auf zahlreichen öffentlichen Plätzen und Gebäuden ein Stück weit zu spüren in dem Büro von Dona Fatima, das direkt über dem Lager liegt in dem unten bis in die Nacht hinein die Kaffeesäcke aus den umliegenden Kaffeeregionen in vollgeladenen Lastwagen herbeigekarrt werden. Ohne entsprechende Transportmittel läuft aus diesen entlegenen Anbaugebieten bis nach Jinotega rein gar nichts.

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Auf Lehmwegen in die nicaraguanischen „Alpen“

Von der Hauptstadt Managua bis in den Norden Nicaraguas nach Jinotega ist die Straße asphaltiert, ab hier geht es nur noch weiter auf holprigen, löchrigen Lehmwegen, die schnell Rutschpartien bescheren wenn es anfängt in den bergigen Regionen zu regnen.

Auch wenn es keine 4.000er Berge hier gibt, so ist der Reiseweg in die nicaraguanischen „Alpen“ immer wieder eine Herausforderung für Reisende. „Los Alpes“ heißt dann auch bezeichnenderweise die Kleinbauernkooperative auf 1500 m Höhe, die im fairen Handel mitmachen. Zwei bis drei Stunden dauert es um in das „Zentrum“ dieser Region zu gelangen, je nachdem ob man mit Jeep oder öffentlichem Bus unterwegs ist. Für eine Hin- und Rückfahrt nach Jinotega für sage und schreibe 90 Kilometer ist eine ganze Tagesreise angesagt.

Hier in der Region La Virgin liegt auch das kleine Büro der Kooperative „Los Alpes“, einer der 19 kleineren regionalen Bauerngenossenschaften, die sich alle zu der Kaffeekooperative Soppexcca zusammengeschlossen haben. Gleich nebenan steht das Haus von Don Antonio, der auch im Vorstand von Soppexcca mitwirkt.

Einkaufen und Arbeitsplätze für Jugendliche in entlegenen Kaffeeregionen

Dank eines Entwicklungsprojekts von Fairtrade Lëtzebuerg in Zusammenarbeit mit Cactus und der Unterstützung der Coopération luxembourgeoise konnte hier und in zwei anderen entlegenen Kaffeeregionen Nicaraguas drei Verkaufsstellen von Basislebensmittel eingerichtet werden. Diese Verkaufsstellen werden von der eigens gegründeten Kooperative „Chirinahualt“ von 58 Jugendlichen und jungen Erwachsenen verwaltet. Dabei konnten nicht nur einige wichtige Arbeitsplätze für Jugendliche geschaffen werden, es kommen auch über 300 Familien der lokalen Gemeinschaften so in den Genuss von verbilligten Basisprodukten des täglichen Bedarfs. Dies erspart den Familien aus entlegenen Kaffeeanbaugebieten die beschwerliche Tagesreise zum Einkauf in die nächstgelegene Stadt Jinotega.

Die Kooperative „Chirinahualt“ der Jugendlichen ist auch vollwertiges Mitglied der Kaffeekooperative Soppexcca geworden. Das erlaubt so manchem der Jugendlichen, die bislang ohne Grund und Boden waren, eine lebenswichtige Investition zu tätigen: Dank ihrer Mitgliedschaft in der Soppexcca erhalten sie auch Zugang zu Kleinkrediten, die ihnen den Erwerb eines eigenen Grundstücks zum Anbau von Kaffee ermöglichen. So wird hier vor Ort  kleiner aber überaus wirkungsvoller Beitrag zur Landflucht- und Armutsbekämpfung in Nicaragua geleistet.

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Dieses  Jugendprojekt trägt eindeutig die Handschrift von Dona Fatima, die Idee dazu reifte 2006 heran, als sie auf Einladung der Coopération luxembourgeoise auf einem Kaffeeforum in Luxemburg weilte. Auf der Einweihungsfeier verrät Mauricio José Rodriguez, der technische Berater von Soppexcca seine Sicht: „ Natürlich gibt es mittlerweile auch andere Frauen in Führungspositionen in Nicaragua. Aber keine ist so wie Dona Fatima. Sie hat enormes Wissen und zahlreichen Kompetenzen.“ Und dies setzt sie auch konsequent ein bei der Frauenförderung, die von ihr vorangetrieben wird in einem von der Männerwelt geprägten Umfeld. So gibt es bereits zahlreiche Frauen die selbstverantwortlich Mitglied der Kooperative geworden sind. Eine der 19 Kleinkooperativen besteht mittlerweile sogar zu 95 % aus Frauen, Vorsitzende der Jugend-Kooperative „Chirinahualt“ ist die 21-jährige Ericka Valle der Communidad Las Cuchillas.

Fairtrade macht Schule möglich

Gleich neben der „Tienda“, wo die 24 jährige Darling eine Arbeit gefunden hat, liegen auch der Gesundheitsposten und die Grundschule für die Kinder, die von den Prämiengeldern des fairen Handels finanziert wurde. Hier kommen die Schüler der umliegenden Gegend zum Lernen und die Mütter kochen reihum das Mittagessen für die Kinder. Die Lebensmittel zum Vorbereiten der Mahlzeiten werden dabei gestellt und müssen so nicht von den Familien finanziert werden.

Dies ist nur eines der gemeinschaftlichen Projekte, die dank des fairen Handels möglich wurden. Besonders in Zeiten absoluter Tiefstpreise erhielt die Bauerngenossenschaft dank des fairen Handels über das Doppelte des Weltmarktpreises. Auch in Zeiten wo die Kaffeepreise ansteigen, bleibt das gemeinschaftliche Arbeiten ein wichtiger Eckpfeiler des Überlebens. So verkaufen die Mitglieder von Los Alpes rund 90% ihrer Ernte an „ihre“ Kooperative, nur etwa 10% gehen, wenn es einen akuten Geldbedarf gibt in die Säcke der Zwischenhändler, die natürlich auch in diesen Gegenden immer wieder aktiv werden, besonders dann wenn ihnen Engpässe bei der Lieferung entstehen.

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Politik und Versöhnung

Hier in der Bergregion wird auch ein Stück der rezenten nicaraguanischen Kriegsgeschichte greifbar. Auf dem Weg in die naheliegende Kaffeeparzelle, wo jetzt seit Ende November bis noch in den Februar hinein gepflückt wird, erzählt Don Antonio von seinen eigenen Kriegserfahrungen: mit 17 habe ich als Jugendlicher auf der Seite der Contras gegen die Sandinisten gekämpft. Wieso ich damals zu den Contras und nicht zu den Sandinisten gegangen bin? Weil meine Familie gesagt hat, bei den Contras bekommst du wenigstens eine minimale militärische Schulung. Das erhöht deine Überlebenschancen in den militärischen Auseinandersetzungen. Heute weiß ich, dass wir damals alle nur ge- und missbraucht wurden zu politischen Zwecken.“

Heute ist alles anders. Don Antonio arbeitet heute gemeinsam mit dem aktuellen Präsidenten von Soppexcca, einem ehemaligen Sandinistenkämpfer, gemeinsam im Vorstand – zum Nutzen der rund 650 Bäuerinnen und Bauern der Kooperative. „ Wer Politik machen möchte, soll das gerne tun. Aber außerhalb unserer Kooperative.“ , so Dona Fatima. „ Wir möchten uns von keinem für seine politische Zwecke einspannen lassen.“ Hier wird auch eines der Erfolgsmodelle der Genossenschaft ersichtlich, das sich sicherlich nicht in Geld berechnen lassen: der gemeinschaftliche Geist hat auch ehemalige Kriegsgegner wieder vereint. Irgendwie klingt das alles ein bisschen wundersam, genauso wie die Geschichte des verstorbenen und allseits wie ein Heiliger verehrte italienstämmige Padre Odorico d’Andrea, der Contras wie Sandinisten die heilige Kommunion austeilte und zu einem wichtigen Friedensstifter wurde. Zu seinem Grab pilgern jährlich Tausende, um ihm die Ehre zu erweisen.

Auf dem beschwerlichen und immer wieder auch von Rückschlägen geprägten Weg der Solidarität und des Gemeinschaftssinns ist Fairtrade ein zuverlässiger „Begleiter“. Weit über die Hälfte der jährlichen Kaffeeernte von Soppexcca wird von Fairhandelspartnern mit Fairtradeprämie in Europa eingekauft und findet auch seinen Weg in die luxemburgischen Verkaufsstellen. Heute steht der Nica – Kaffee nicht mehr als Symbol für eine politische Revolution, aber der faire Soppexcca Kaffee – laut „lonely planet“ der landesweit beste Kaffee - sorgt für eine konsequente nachhaltige Entwicklung von unten. Nicht mit Waffengewalt geht dies voran, aber mit einer anderen „gewaltigen“ Macht: der fairänderten Kaufkraft von Verbrauchern in Luxemburg und in anderen westlichen Ländern.

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„Lo veo y no lo creo.“

„Kaum zu glauben, was ich da gesehen habe.“ So lautet in etwa die freie Übersetzung des Kommentars von Guillermo Denaux, der verantwortliche Fairtrade Inspektor, als er im September 2008 das Einleitungswort zu der Geschichte von der Kooperative Soppexcca verfasste. Angesichts der letzten Jahrzehnte die geprägt waren von Kriegswirren und Kaffeekrisen hat Soppexcca in der Tat eine überaus erstaunliche, ja fast unglaubliche Erfolgsgeschichte aufzuweisen. Aber in dieser vorweihnachtlichen Kaffeeerntezeit geprägt von vollen Kaffeesäcken und Krippendarstellungen ist sie wieder ein Stück verwirklicht worden. Fast unglaublich, aber wahr.