"An dësen onsécheren Zäite läit d'Chance vun Europa an der Raumfaart"

Dat schreift den ESA-Generaldirekter Josef Aschbacher an engem Meenungsbäitrag. Deemno hätt Europa am Beräich vun der Raumfaart een däitleche Virdeel.
"Im Jahr 2025 erleben wir eine Welt, in der traditionelle Diplomatie und Normen der Zusammenarbeit zunehmend durch Machtpolitik, wirtschaftliche Unsicherheit und strategischen Wettbewerb abgelöst werden. Im November dieses Jahres wird die Europäische Weltraumorganisation (ESA) ihre Ministerratstagung (CM25) ausrichten, um die Finanzierungsschwerpunkte für die kommenden Jahre festzulegen. Dabei müssen wir uns in ganz Europa einer harten Wahrheit stellen: Wir sind auf diese neue Realität nicht vorbereitet. Die Anfälligkeiten nehmen zu – in den Bereichen Verteidigung, Handel, Energie, KI und Quantentechnologien sowie bei den Lieferketten. In einem Bereich besitzt Europa jedoch einen deutlichen Vorteil: in der Raumfahrt. Europa verfügt nach wie vor über weltweit führende Raumfahrtprogramme. Und durch die ESA kann Europa rasch und entschlossen handeln, um seine Resilienz zu stärken.
Raumfahrt ist kein Hobby für Milliardäre. Sie ist unverzichtbar und ein fester Bestandteil unseres Alltags. Von der Wettervorhersage – wo etwa 80 Prozent der Daten von Satelliten stammen – über hochpräzise Anwendungen für die Landwirtschaft, Galileo-Navigation, satellitengestützte Zahlungssysteme, die Überwachung der Luftqualität durch Copernicus und Raketenortung in der Ukraine – Weltraumtechnologie treibt unsere Wirtschaft an, schützt unsere Umwelt und sichert unsere Grenzen. Trotzdem investiert Europa zu wenig in die Raumfahrt, während Weltmächte wie die USA, China und Indien in die Offensive gehen – nicht etwa dank überlegener Kompetenzen, sondern weil sie massiv investieren.
Ein Bereich mit besonderer Dringlichkeit, in dem Europa seinen Bedarf bündeln und seine Stärken ausspielen kann, ist die Verteidigung, wo Europa – wie in der Raumfahrt – nach wie vor gefährlich unterfinanziert ist. Verteidigung und Raumfahrt ergänzen einander bereits, ja sind nahezu voneinander abhängig – Satelliten und ihre Daten müssen im Weltraum geschützt werden und können gleichzeitig zur Sicherheit am Boden beitragen. Während China seine Dominanz mit einem 2 800 Satelliten umfassenden Informationsnetzwerk ausbaut und die USA ihr Starshield-Programm zur Echtzeit-Erdüberwachung vorantreiben, erhöhen auch Länder wie Russland, Indien und Japan ihre Investitionen in die Raumfahrt für Verteidigungszwecke. Weltweit ist die Hälfte aller staatlichen Raumfahrtausgaben für die Verteidigung bestimmt, wohingegen es in Europa nur 15 Prozent sind, was dringende Fragen zu den strategischen Prioritäten und der Positionierung Europas in Bezug auf die Sicherheit aufwirft. Als Leiter einer zivilen Weltraumorganisation habe ich eine klare Vorstellung davon, wie die ESA mit ihren Experten und ihrem Know-how im Rahmen ihres Aufgabenbereichs Europa in diesen unbeständigen Zeiten unterstützen kann.
Ein vielversprechender Weg, der auf der CM25 vorgeschlagen wird, sind Weltraumsysteme mit doppeltem Verwendungszweck, die sowohl zivilen als auch verteidigungspolitischen Zwecken dienen können. Durch die Optimierung der Budgets auf europäischer Ebene kann die ESA schnelle und kostengünstige Bausteine für die Verteidigung bereitstellen, um die Resilienz zu stärken, und gleichzeitig die Wissenschaft, die Überwachung der Umweltveränderungen und das Wirtschaftswachstum vorantreiben. Hierfür sind keine neuen rechtlichen oder internationalen Übereinkünfte erforderlich: Die ESA bietet bereits den Rahmen, bündelt die besten Ressourcen Europas und macht in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission eine sofortige Mittelzuweisung möglich.
Warum lohnen sich Investitionen in die Raumfahrt – abgesehen von Verteidigungszwecken? Der globale Raumfahrtsektor wächst jährlich um beeindruckende 9 bis 10 Prozent, übertrifft damit das weltweite BIP-Wachstum und konkurriert mit den am schnellsten wachsenden Sektoren der Welt. Dank entscheidender Durchbrüche in den Bereichen Satellitenkommunikation, Navigation, Erdbeobachtung und anderen weltraumgestützten Technologien wird sich der Wert des Raumfahrtsektors bis 2035 auf 1,8 Billionen Euro verdreifachen. Doch während die globale Raumfahrtwirtschaft wächst, nimmt der Anteil Europas ab, was bedeutet, dass wir in einer größeren Branche eine kleinere Rolle spielen werden. Von den weltweiten öffentlichen Investitionen in den Raumfahrtsektor in Höhe von 122 Milliarden Euro im Jahr 2024 entfielen nur 10 Prozent auf Europa, während sich der Anteil der USA auf 60 Prozent belief. Wir laufen Gefahr, unsere Unabhängigkeit und Autonomie in diesem Sektor an Regierungen oder kommerzielle Unternehmen jenseits Europas zu verlieren.
Die Geschichte zeigt, dass in Zeiten geopolitischer Spannungen und wirtschaftlicher Schwierigkeiten Investitionen in Zukunftstechnologien zu Wachstum und Resilienz führen. Das amerikanische Apollo-Programm, das während des Vietnamkriegs ins Leben gerufen wurde, als die universelle Vormachtstellung der USA in Frage gestellt war, hat zur Entstehung des weltweit größten Technologiesektors geführt. Koreas Erholung von der asiatischen Finanzkrise wurde durch den Fokus auf Technologie und Innovation angekurbelt, wodurch das Land zu einem globalen Technologieführer wurde. Deutschland reagierte auf die Finanzkrise von 2008 mit einer Priorisierung fortschrittlicher Fertigungs- und grüner Technologien und bewies damit, dass klimaschutzorientierte Konjunkturmaßnahmen sowohl wirtschaftliche als auch beschäftigungspolitische Vorteile bringen können. Mit Investitionen in die Raumfahrt verhält es sich nicht anders – mit ihnen lässt sich die Zukunft von Nationen und Kontinenten gestalten.
Europa verfügt über die intellektuelle Exzellenz und die ESA über die Erfolgsbilanz, man denke nur an Copernicus, Galileo, Euclid und Juice. Aber diese Exzellenz ist in Gefahr. Talente wandern dorthin, wo es spannend ist – und das ist oft außerhalb Europas, da viel Geld zu großen und faszinierenden Projekten führt. Um seine Führungsposition aufrechtzuerhalten, muss Europa auf der CM25 in seine Ambitionen investieren.
Gemeinsam stehen wir heute an einem Scheideweg. Angesichts der wachsenden geopolitischen Instabilität und der ungewissen Unterstützung durch die USA muss Europa die zunehmenden Warnsignale als willkommene Gelegenheit zum Aufbau seiner strategischen Autonomie betrachten. Die CM25 ist keine Ministerratstagung wie jede andere – sie wird ein Moment für radikale Entscheidungen sein. Sie markiert den Beginn eines Marathons von haushaltspolitischen und politischen Meilensteinen, darunter die Ministerratstagung der ESA 2028 und der mehrjährige Finanzrahmen (MFR) 2028–2034 der Europäischen Kommission, mit denen die langfristigen Raumfahrtambitionen Europas gestaltet werden. Die CM25 ist Europas einmalige Chance, sich für Ehrgeiz statt Zögern, Führungsstärke statt Zurückhaltung und Weitsicht statt Selbstzufriedenheit zu entscheiden – vorausgesetzt, wir haben den Mut, diese Chance zu ergreifen."
*Dëst ass e Meenungsbäitrag vum ESA-Generaldirekter, deen dëse 70 Deeg virun der Ministerkonferenz publizéiert huet. Dat an den 23 Memberstaate vun der Europäescher Weltraumagence.