Zwischen 2003 und 2005 fielen in Schweden 424 Flüchtlingskinder in eine Art Bewusstlosigkeit, sie aßen und tranken nichts mehr und ...

... reagierten auf keinerlei Reize. Etliche der Kinder die teilweise jahrelang auf ihren Asylbescheid auf der Insel Nauru, vom australischen Staat als Auffanglager benutzt, warteten, fielen ebenfalls in diese „mysteriöse schwedische Krankheit“. Ähnliches passiert heute auf der griechischen Insel Lesbos im Flüchtlingslager Moria. Obwohl das Lager nur 3.000 Menschen aufnehmen sollte, „leben“ jetzt dort 20.000 Flüchtlinge, davon 35 Prozent Kinder.
Die Kinder haben in Syrien oder Afghanistan, Krieg und Gewalt gesehen, gehört, gespürt, fielen aus dem Boot bei der Überfahrt nach Lesbos und wurden in letzter Minute wieder aus dem Meer „gefischt“, oder erleben tödliche Auseinandersetzungen im überfüllten Lager.

Jetzt, am – vorläufigen - Ende ihrer Flucht angekommen, verfallen sie in totale Apathie. Sie starren in die Leere, sprechen nur noch das Allernötigste, einige verstummen total, öffnen die Augen nicht mehr, können nicht mehr gehen, bekommen Flüssignahrung oder werden per Magensonde ernährt.

Eine Erklärung dieses ungewöhnlichen Zustandes könnte sein, dass die Kinder dächten, endlich in vermeintlicher Sicherheit angekommen zu sein, erneut existentielle Angst hätten trotzdem wieder weiter flüchten zu müssen. Dies wird u.a. unter folgenden medizinischen Begriffen zusammengefasst: depressive Devitalisierung oder Traumatic Withrawal Syndrome. (siehe dazu den Dokumentarfilm „Life overtakes me – Vom Leben überholt“.)

Nach dem Lesen eines diesbezüglichen Artikels in DIE ZEIT No 9/2020, frage ich mich inwiefern die in Luxemburg zuständigen Behörden, Außenministerium oder ONA schon bei der Ankunft der Kinder, etwaige Symptome dieses Syndroms gezielt überprüfen. Einem Artikel von reporter.lu zu entnehmen, wurde ein Projekt „Centre Ethno-psychiatrique de Soins pour Migrants et exilés“ – kurz CESMI, in dem Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und interkulturelle Vermittler sich um traumatisierte Flüchtlinge kümmern sollten, 2017 gestoppt. Werden seither die traumatisierten Flüchtlinge und ihre Kinder ihrem traurigen Schicksal überlassen ?

Bei seiner jährlichen Pressekonferenz zur Migrationspolitik am 9. Februar 2020 gab der Außenminister sehr viele Zahlen bekannt: Die Zahl der Asylanträge, die Zahl der abgewiesenen Anträge, die Zahl der Rückführungen, die Zahl der bestehenden und fehlenden Unterkünfte. Hinter den Zahlen „verstecken“ sich Menschen. Den tags darauf erschienenen Zeitungsartikeln zu entnehmen wurde vom Außenminister wenig, wenn überhaupt, über die Flüchtlinge, ihre Ängste und Traumata, und spezifisch über die der Kinder berichtet. Es bleibt zu hoffen, dass nicht demnächst von der „mysteriösen luxemburgischen Krankheit“ gesprochen werden muss.

Jean Lichtfous