
„Die Mannschaft weiß nicht, was der Steuermann weiß, und der von den Sternen und Winden in Bann geschlagene Steuermann weiß nicht, wie er die Mannschaft die Bedeutung dessen, was er selber weiß, erkennen lassen kann.“So der amerikanische Journalist und Regierungsberater Walter Lippmann am Ende seines berühmten Buches „Die öffentliche Meinung“. Ist eine Politik möglich, die das Volk nicht mit manipulativen Vereinfachungen lenkt? Eine durchaus berechtigte Fragestellung, wie wir heute wissen…
Der Autor Walter Lippmann, dessen Buch „Die öffentliche Meinung“ in deutscher Neuauflage im Jahre 2018 erschien und das heute in Zeiten von „Fake News“, Framing und Meinungsmache unentbehrlich ist, war eine überaus schillernde Persönlichkeit. Der US-amerikanische Journalist, Schriftsteller, Medienkritiker und Regierungsberater lebte von 1889 bis 1974. Marketing, Werbung, politischer Spin, Politisches Framing, Beeinflussung sozialer Veränderungsprozesse, Inszenierungen aller Art und bewusst produzierte Fake News (seit Donald Trump wohl das negative Schlagwort der Zeit) dominieren die Ereignisse. Die Herausgeber des im Westend Verlag Frankfurt am Main erschienen Buches ermuntern in ihrer hochinteressanten, ausführlichen und informativen Einführung zu Lippmanns Werk ihre Leser*innen gewissermaßen dazu, sich ganz im Sinne von Immanuel Kants „Sapere aude!“ des eigenen Verstandes zu bedienen, um sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien. „Es wird höchste Zeit, dass wir uns als Gesellschaft über die Macht innerer Bilder zumindest wieder jenes Wissen aneignen, das vor gut 90 Jahren über sie existierte. Lippmanns Werk ist hierfür ein guter Ausgangspunkt.“ So ihre klare Aussage.
Wir könnten uns heute umfassender in Kenntnis setzen über die Welt und die Geschehnisse die in ihr vorgehen – politische und andere Vorgänge – und die damit verbundenen Hintergründe, als das je zuvor der Fall war. Unzählige Medien und natürlich das Internet machen es inzwischen möglich. So könnten wir uns unsere ganz persönliche Meinung aus den uns zugänglichen Informationen bilden. Man betone: könnten! Allerdings ist das mit viel Aufwand verbunden. Wer tut sich das an – wer kann sich das überhaupt antun? Gewiss werden es die Wenigsten sein. Dennoch: was ist wahr oder kommt der Wahrheit am nächsten? „De omnibus dubitandum“ – „An allem ist zu zweifeln“ gab Karl Marx seinen Töchtern als Motto mit auf den (Lebens-)Weg. Also heißt es: den eigenen Kopf, das eigne Hirn einschalten. Die reale Umgebung ist zu groß, komplex und fließend, um direkt erfasst zu werden. Wohl das Allermeiste aus der oder über die Wirklichkeit, erführen die Menschen aus zweiter, dritter Hand (es geht ja auch gar nicht anders) – damals vorwiegend aus Zeitungen, so Lippmann in seinen Erklärungen. Wobei Journalisten freilich auch vereinfachten – denn auch sie bekamen ja nicht alle Meldungen aus eigener Quelle. Lippmann sprach erstmals überhaupt von Stereotypen, die benutzt werden. Übrigens prägte er auch den Begriff „Kalter Krieg“ und überführte ihn in den allgemeinen Sprachgebrauch.
Die Wirklichkeit werde also über Symbole, über Stereotype vermittelt. Wer regieren wolle, der müsse das berücksichtigen. „Brauchbare öffentliche Meinungen“, so Lippmann, müssten erst einmal „geschaffen“ werden, anders würden sich komplexe Gesellschaften nicht lenken lassen. Er registrierte gesellschaftliche Prozesse genau, und studierte die Reaktionen der Menschen. Walter Lippmann war ein kluger Mann, der sowohl als Journalist als auch als Regierungsberater viele Erfahrungen gesammelt hatte und darauf sein Handeln und seine Pläne aufbaute. Er diente der Elite und gehörte schließlich auch selber zu dieser. Er registrierte alle gesellschaftlichen Prozesse sozusagen sozialwissenschaftlich genau. Wie erwähnt studierte er die Reaktionen von Menschen – und richtete dementsprechend sein Handeln und die Ratschläge an die Politik danach aus. Die Herausgeber erwähnen auch das Committe on Public Information (CPI), das auch auf einen Vorschlag von Walter Lippmann zurückgeht. Woodrow Wilson hatte die Wahlen 1916 mit dem Versprechen, die USA aus dem Ersten Weltkrieg herauszuhalten, gewonnen. Dann jedoch schwenkte er auf einen Kriegskurs um. Die Menschen in den USA wollten aber keinen Krieg. Durch das CPI wurde eine gewaltige Kampagne mittels Propaganda und Hetze gefahren und so die Meinung in der Bevölkerung auf Kriegsbegeisterung gedreht. Gerade dieser Erfolg des Committe on Public Information (CPI) habe jedoch bei Lippmann eine tiefe Beunruhigung ausgelöst. Was ihn wohl auch dazu bewogen haben soll, „Die öffentliche Meinung“ zu schreiben. Walter Lippmann hatte offenbar erkannt, welche Gefahr die Manipulation für die Demokratie darstellt. Sein Werk gehört im Grunde in jede Hand. Erst recht in Zeiten von „Fake-News“, Framing und Meinungsmache. Da ist das Buch geradezu unentbehrlich, auch wenn es schon vor 90 Jahren geschrieben wurde. Denn so vieles darin hat nach wie vor noch immer mit uns – wenn nicht sogar mehr als vor neun Jahrzehnten! – zu tun. Sein Buch, das als Klassiker eingestuft wird, ist eine Botschaft. Im Jahr 1922 geschrieben von einem Mann, der lange ein Feindbild linker Theoriekritik war, heute als „Vordenker“ des „amerikanischen Imperiums“ gilt und der in der erwähnten Einführung zur Neuausgabe gar zu einem Vater des Neoliberalismus ernannt wird. Was wollen wir von diesem Buch, was von einem Mann, der zum innersten Zirkel um Präsident Woodrow Wilson gehörte und von einer Regierung der Experten träumte, von einer Gesellschaft, in der Männer wie er die große „Herde“ führen? Ganz einfach: Walter Lippmann war dabei, als das erfunden wurde, was damals Propaganda hieß und heute PR genannt wird, strategische Kommunikation, Soft Power, Public Diplomacy. Lippmann beschreibt bereits 1922 Phänomene, die heute (wie bereits erwähnt) unter den Begriffen Fake News, Framing und Filterbubble als Herausforderungen des neuen Medienzeitalters firmieren und bringt Beispiele von geschickt eingesetzten Influencern. Er beschreibt Mechanismen der gezielten Beeinflussung, die nach wie vor muntere Anwendung finden. Gemeinhin wird Lippmann als eine Art Macchiavelli des 20. Jahrhunderts gelesen. Vielen gilt er als Propagandist des Neoliberalismus. Laut Lippmanns Demokratieverständnis besteht eine intakte Demokratie aus zwei Klassen: der sehr kleinen Klasse der „Spezialisten“, die aktiv mit den Angelegenheiten des Allgemeinwohls betraut wird. Diese Männer analysieren die Lage der Nation und treffen Entscheidungen auf politischer, wirtschaftlicher und ideologischer Ebene; ihr gegenüber stehe die Klasse der den Spezialisten überlassenen „Handlungsobjekte“, nach Lippmann die „verwirrte Herde“, vor deren Getrampel und Gelärm die Spezialisten geschützt werden müssten. In einer „funktionierenden Demokratie“ (laut Lippmann) hat die Masse der Menschen („die Herde“) lediglich die Befugnis, die Spezialisten zu wählen und den Rest der Zeit mit „Grasen“ zu verbringen. In seinen Essays zur Demokratie fordert er, dass nur die spezialisierte Klasse für die „Herausbildung einer gesunden öffentlichen Meinung“ Sorge tragen dürfe, weil die Öffentlichkeit lediglich aus „unwissenden und zudringlichen Außenseitern“ bestehe. Man vergesse eben nicht, wer dieser durchaus umstrittene Mann war…
Zur Person selbst: Walter Lippmann wurde am 23. September 1889 in New York City geboren und wuchs in wohlhabenden New Yorker Verhältnissen auf. Beide Eltern waren deutsch-jüdischer Abstammung. Sein Großvater war 1848 aus Deutschland eingewandert. Sein Vater war Kleiderfabrikant und Häusermakler. Walter Lippmann besuchte die Julius Sachs Knabenschule in New York, studierte von 1906 bis 1910 an der Harvard-Universität Philosophie, politische Wissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Sprachen und war ein Jahr lang Assistent des Philosophen Santayana. Sein Examen als Bachelor of Arts legte er cum laude ab. Als Zwanzigjähriger gründete und leitete er zusammen mit dem bekannten Schriftsteller John Reed einen sozialistischen Klub an seiner Universität. So begann Lippmann, der sich inzwischen zum Konservativen entwickelt hat, in seiner Jugend als Sozialist. Durch seine erste größere Schrift (“Preface to policy"; Vorrede zur Politik, 1913), wurde sein Name in weiten Kreisen bekannt. Noch als Student war er für den Bostoner “Common” und “Everybody’s Magazine” journalistisch tätig. 1914 gründeten Lippmann, Herbert Croly und Walter Weyl das Magazin The New Republic. Während des Ersten Weltkriegs wurde Lippmann Berater von US-Präsident Woodrow Wilson und half bei der Ausgestaltung von Wilsons 14-Punkte-Programm. 1932–1937 war er Direktor im Direktorium des Council on Foreign Relations. Lippmann hatte leichten Zugang zu den Entscheidungsträgern der USA und lehnte den Kommunismus strikt ab. 1947 wurde Lippmann in die American Philosophical Society und 1949 in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Den Rat des politischen Philosophen suchten viele -- so auch John F. Kennedy. der ihm als neuer Präsident seine Antrittsrede vorlegte: Lippmann fand darin das Wort “Feind” für die Sowjet-Union und empfahl statt dessen die Bezeichnung “Widersacher”, Kennedy übernahm diese und benutzte nie wieder eine andere Vokabel.
Walter Lippmann erlag am 14. Dezember 1974 in New York einem Herzleiden.