
„Es ist nie passiert. Nichts ist jemals passiert. Sogar als es passierte, passierte es nicht. Es spielte keine Rolle. Es interessierte niemand.“ So der britische Theaterautor, Regisseur und Träger des Literaturnobelpreises des Jahres 2005 Harold Pinter. Der Londoner Schriftsteller, dort geboren und dort gestorben, der von 1930 bis 2008 lebte, hat für Theater, Hörfunk, Fernsehen und Kinofilme geschrieben. Seine frühen Werke werden dem Absurden Theater zugezählt. Aus seinem Namen entstand im Laufe der Jahre ein Adjektiv. Als “pinteresk” gelten die sparsamen Dialoge, die eine gewisse Atmosphäre entstehen lassen und dem Zuschauer ein Gefühl des leichten Unbehagens bereiten. In britischen Medien wird er oft als “Meister des Ungesagten” bezeichnet.
Seine kritischen Aussagen waren sehr deutlich. Anlässlich seiner Verleihung des Literaturnobelpreises erinnerte er an das „weitverzweigte Lügengespinst, von dem wir uns nähren.“ Provokativ fragte er: „Wie viele Menschen muss man töten, bis man sich die Bezeichnung verdient hat, ein Massenmörder und Kriegsverbrecher zu sein?“ Eine interessante Fragestellung, die man durchaus aufwerfen kann. Ein Fakt eigentlich, den man nach entsprechender Feststellung des bekannten Schweizer Autors und ehemaligen UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler , untermauern kann, und der in diesem Kontext im Jahre 2012 in der Zeitung „Junge Welt“ bemerkte: „Der deutsche Faschismus brauchte sechs Kriegsjahre, um 56 Millionen Menschen umzubringen – die neoliberale Wirtschaftsordnung schafft das locker in gut einem Jahr.“ So schrieb auch im Zusammenhang mit den evidenten Menschenrechtsverletzungen der systemrelevanten Weltbank, die eigentlich Armut bekämpfen soll, die bekannte „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 16. April 2015: „Bei von der Weltbank finanzierten Infrastrukturprojekten in Afrika werden Armutsviertel zum Teil ohne Vorwarnung niedergewalzt. Bewohner werden zwangsweise umgesiedelt oder obdachlos.“ Die renommierte Zeit bestätigt am gleichen Tag zum selben Thema der Menschenrechtsverletzungen der Weltbank, dass allein im vergangenen Jahrzehnt 3,4 Millionen Menschen in mehr als 900 Weltbank-Projekten ihr Land oder einen Teil ihrer Lebensgrundlage verloren hätten. Dazu sei bemerkt, dass man die Bevölkerung über folgenschwere Fakten risikofrei unterrichten kann, zumindest solange der für ihr Verständnis notwendige Kontext weitgehend unsichtbar bleibt, werden derartige Verbrechen die Bevölkerung nicht sonderlich interessieren oder gar beunruhigen – das alles beißt , krass gesagt, doch niemanden wirklich…
Doch zurück zu unserem Nobelpreisträger: „Pinter hat in seinen Dramen den Abgrund unter dem alltäglichen Geschwätz freigelegt und ist in den geschlossenen Raum der Unterdrückung eingebrochen“, hieß es in der Begründung zur Nobelpreisverleihung. Da er aus Krankheitsgründen nicht persönlich zu ebendieser Nobelpreisverleihung in Stockholm erscheinen konnte, wurde eine am Vortag auf Video aufgezeichnete Dankesrede von ihm gezeigt. Das Video zeigte einen schwer an Krebs erkrankten Pinter, der die Publizität des Anlasses für heftige Vorwürfe gegen den US-Präsidenten und den britischen Premierminister nutzte: Er nannte George W. Bush im Zusammenhang mit dem Irakkrieg einen Massenmörder und Tony Blair einen „armen Irren“ („deluded idiot“). Im Oktober 2005 erhielt er von der Franz-Kafka-Gesellschaft in Prag den alljährlich verliehenen Franz-Kafka-Preis, den sein Freund Václav Havel an seiner Stelle entgegennahm. Was würde er heute wohl in seiner ihm eigenen Art über eine Figur wie Donald Trump aussagen?
Es ist nie passiert. Nichts ist jemals passiert. Weil es offiziell eben nie passieren durfte oder weil man es „staatstragend“ vertuschen, verschweigen will. Manche nennen so etwas das „Unsichtbarmachen“ großer Fakten. Die von kritischen Journalisten im Kontext der Pressefreiheit trotzdem thematisiert, von interessierter Seite allerdings dann gerne ignoriert oder aber als Verschwörungstheorien disqualifiziert werden. Ein Beispiel derartiger Vertuschung ist Usbekistan, das als eine der schlimmsten Diktaturen der Welt gilt. Das dortige Regime begeht systematisch schwerste Menschenrechtsverletzungen, wie Massenmorde, Folter oder Kinderarbeit. Da Deutschland dort jedoch einen Luftwaffenstützpunkt betreibt und somit strategische Interessen verfolgt, gehört die Duldung von Folter in Usbekistan zur deutschen Staatsraison, eine Omerta, die allerdings und glücklicherweise im Sinne der Pressefreiheit von kritischen Journalisten trotzdem gebrochen wird. Gelebte Pressefreiheit also, wofür man als Journalist, von denen so manche ein gefährliches, gar lebensgefährliches Leben führen, so einiges an Mut aufbringen muss.
Informationen sind der erste Schritt zu Veränderungen – deshalb fürchten nicht nur autoritäre Regierungen eine freie und unabhängige Berichterstattung. Wo Medien nicht über Unrecht, Machtmissbrauch oder Korruption berichten können, findet auch keine öffentliche Kontrolle statt, keine freie Meinungsbildung und kein friedlicher Ausgleich von Interessen. Pressefreiheit ist die Basis einer demokratischen Gesellschaft.
„Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten zu vertreten sowie Informationen und Ideen mit allen Kommunikationsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“ Artikel 19 der “Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte” der Vereinten Nationen (Dezember 1948).
In dem Sinne ist dieser Tag der Internationalen Pressefreiheit ein wichtiger, sehr wichtiger Tag nicht nur für einen unabhängigen, freien Journalismus, sondern auch für die Demokratie!
Frank Bertemes